27 Jul

Costruire la casa comune

In diesem Freiwilligendientprojekt hatten wir 2 Freiwillige an unterschiedlichen Eisatzorten. Hier nun der wirklich sehr gut geschriebene Bericht von Ruby. Sie hat ihren Dienst in einem Frauenhaus in der Nähe von Asti bei Turin geleistet. Ein wirklich nicht leichter Dienst, aber auch mit sehr viel Erkenntnispotenzial. Lest selbst:

 

Mein halbjähriger Dienst begann am 28. November 2020. Mit dem Zug machte ich mich auf nach Asti, einer Kleinstadt in der Nähe von Turin. Hier sollte ich für die nächsten sechs Monate in einem Frauenhaus mithelfen.

In der Schule hatte ich damals 2 Jahre Italienischunterricht gehabt und war bereits eine längere Zeit in Italien gereist, jedoch ohne meine Schulkenntnisse anzuwenden.
Meine grundlegenden Italienischkenntnisse nutzten mir in der Anfangszeit meines Projektes beim Verstehen mehr als beim Sprechen.
Und trotzdem: Ich war über meine – wenn auch eher spärlichen – Sprachkenntnisse froh!
Denn meine Arbeit ging bereits einen Tag nach meiner Ankunft los.

Schreiende Kinder, aufgeregte Mütter und gestresste Pädagogen und ich mittendrin.
Mit großen Augen beobachtete ich das Durcheinander, aber nicht für lange.
Schon in der ersten Stunde wurde mir aufgetragen auf zwei kleine Zwillingsbrüder aufzupassen, die gerade 10 Monate alt waren.
Unsicher schob ich den Kinderwagen hin und her. Ich stand im „Salotto“, dem Gemeinschaftsraum des Frauenhauses. Die Mutter der beiden Zwillinge war im Büro um ein wichtiges Gespräch mit ihrem Anwalt zu führen.
Eine Frau putzte den Raum in Lichtgeschwindigkeit, in dem sie Besen und Wischmopp schwang, eine andere Mutter saß auf dem Sofa mit ihren zwei Kindern daneben. Es waren ebenfalls Zwillinge, aber um Jahre älter. Ich schätzte sie auf 5 oder 6.
Abwechselnd und in regelmäßigen Abständen ließen sie ihren Hinterkopf gegen die Sofalehnen prallen, während die Frau ins Leere starrte. Sie schien mit ihren Gedanken woanders zu sein, weit weg.

Im Laufe der nächsten zwei Monate erfuhr ich Bruchteile ihrer Geschichte. Eine Geschichte, ähnlich wie die vieler Frauen, die sich in dem Frauenhaus wiederfanden.
Ein gewalttätiger Mann, kein Einkommen oder Unterkunft und Kinder, die ein sicheres Umfeld brauchten, mehr als alles andere.
Sie war die erste und einzige Mutter, die ich während meiner sechs Monate im „Casa Martino“ noch vor Ende meines Dienstes verabschiedete.
Zwei Monaten nach meiner Ankunft verließ sie die Gemeinschaft und durfte mit ihren Kindern in ihre eigene Wohnung ziehen.
Wie schwierig es war, Autonomie wiederzuerlangen und wie weit der Weg, war mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst.

Meine Arbeit im Frauenhaus bestand darin, die Frauen und ihre Kinder auf genau diesem Weg zu unterstützen und ihnen Momente der Normalität zu bieten, in dieser schwierigen Zeit.

Ich erinnere mich an die ersten sonnigen Tage nach dem Winter, wie ich draußen mit ihnen vor dem Haus saß und wir uns unterhielten, beschwerten und lachten, während die Kinder schreiend um die Wette liefen.
Ich erinnere mich, wie ich mit den Kindern schreiend um die Wette lief und gefühlte hundert Mal das Haus umkreiste, bis ich schließlich sagte: „Basta per oggi.“
Oder die kleinen Spaziergänge, die immer gleichen Straßen rauf und runter. Das Toben auf dem Spielplatz, das Schaukeln nach Schulschluss und das Füttern der Esel.
Die spontanen Tänze vor dem Abendessen bis es hieß „E`pronto!“ und alle in die Küche stürmten.

Ich verbrachte meine Tage mit ihnen und die Frauen sowie die Kinder wuchsen mir ans Herz, mehr als ich mir hätte vorstellen können.
Aber natürlich erinnere ich mich auch an die Streitigkeiten, den Stress und das Chaos. Die Depression und die psychische Belastung der Frauen, die Angstzustände der Kinder. Das Schlagen und Schreien, die Tränen und Verzweiflung.
Ich erinnere mich an den Jungen, der jeden Morgen auf dem Hof stand und aufs Tor blickte, während alle anderen sich noch für die Schule fertig machten, wartend.
Vielleicht auf den Moment, in dem sich wieder alles ändern wird. Sowie damals vor sechs Monaten, als er mit seiner Mutter und seinen zwei Schwestern mitten in der Nacht in der Gemeinschaft ankam.
Oder das zweijährige Mädchen, das bei Sonnenuntergang mitten aufs Feld gelaufen kam, als wir Fußball spielten, sich auf die Knie warf und anfing zu beten.
Oder wie ich losrannte um ein Mädchen von der Schule abzuholen, weil ihre Mutter sie vergessen hatte.

Die Arbeit war nicht immer einfach. Ich hatte bis vor dem Projekt keine Erfahrung darin mit Kindern zu arbeiten und es war ein „learning-by-doing“-Prozess.
Oft fehlte Hilfestellung oder ein offenes Ohr der „anderen Seite“, sprich der Erzieher, Pädagogen und Psychologen. Doch diese waren unterbesetzt und meist gestresst, sodass kaum Zeit für mich übrig blieb.
Dennoch konnte ich mich immer an meine Mentorin wenden, die ihr Bestes tat, Probleme zu beseitigen und meinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.
Die große Verantwortung, die ich übernehmen durfte und das Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde, half mir sehr hinsichtlich meiner persönlichen, aber auch meiner professionellen Weiterentwicklung. Man wurde komplett in das Projekt mit eingebunden und ich sehe es als großartige Möglichkeiten, einen intimen Einblick in den Job als Sozialarbeiter bzw. Erzieher zu bekommen.

Meine Freizeitgestaltung war durch Corona eingeschränkt. Der größte Teil meines Freiwilligendienstes befand sich Piemonte entweder in der roten oder orangenen Zone, was bedeutete, dass man offiziell nicht reisen oder sich mit Freunden treffen durfte.
In Asti besuchte ich drei Mal die Woche einen Sprachkurs, der zunächst online und zeitweise auch in Präsenz stattfand.
Ansonsten hatte ich die Möglichkeit mich am Wochenende mit den anderen Freiwilligen zu treffen, die in einem anderen Projekt derselben Organisation in der Nähe arbeiteten.
Viel Kontakt zu waschechten Italienern in meinem Alter konnte ich durch die gegebenen Umstände leider nicht wirklich aufbauen.
Doch ich kann mir vorstellen, dass das in Nicht-Corona-Zeiten leichter sein sollte.

Im Großen und Ganzen hatte ich eine sehr schöne Zeit in meinem Projekt und würde mich wieder dafür entscheiden. Ich habe schöne Beziehungen aufbauen können und mein Italienisch hat sich deutlich verbessert. Die Arbeit ist psychisch sehr zehrend, aber gibt natürlich auch viel zurück. Darauf sollte man sich im Vorhinein einstellen. Außerdem ist es empfehlenswert, sich Italienischkenntnisse vor Abreise anzueignen, damit man einen leichteren Einstieg in das Projekt hat, da Italiener kaum gerne Englisch sprechen.