01 Jul

Smakkecentret

„Smakkecentret“ ist ein EFD-Projekt auf Strynø. Das ist eine kleine dänische Insel. Unsere Freiwillige Susanne ist dort seit März für insgesamt 7 Monate. Ihr Bericht hat einen ganz eigenen und sehr interessanten Stil. Sie schrieb einleitend: „Ich finde es schöner kleine anschauliche Ausschnitte zu berichten als einen Text im Berichtstil. Es bleibt somit ausschnitthaft ohne einen Gesamtüberblick zu vermitteln.“ Wir finden: Liest sich toll!

Lina, meine Mitfreiwillige, hat sich mit ihrer Gastfamilie überworfen bzw. ihre Gastfamilie hat sich mit ihr überworfen. Entscheidet selbst, welche Perspektive ihr teilen möchtet. Sie zieht zu einer anderen Gastfamilie auf die nächst größere Insel. Das ist das Ende unserer spontanen Treffen. Ich bin jetzt die einzige in meinem Alter und mit meiner Lebenssituation auf der Insel. Wir werden in Zukunft abwechselnd an den Wochenenden arbeiten. Daher sehen wir uns zukünftig nur noch drei Tage in der Woche. Von anderen Freiwilligen, die ebenso die Gastfamilie gewechselt haben, hörte ich, dass ein Wechsel nicht so selten ist. Die meisten Konflikte entstehen, wenn unterschiedliche Erwartungshaltungen aufeinandertreffen und zu spät darüber gesprochen wird. Ich fühle mich in meiner Gastfamilie nach wie vor wohl.


Heute hat die Kommune beschlossen meine Projektstelle finanziell zu unterstützen. Damit ist ein Bankrott abgewandt. Verantwortlich für die Krise ist eine zu geringe Auslastung. Der Staat hat den Schulen die Gelder gekürzt, die somit weniger Exkursionen machen. Eine weitere wichtige Einnahmequelle war, dass der Center Ferienfreizeiten für Kinder mit Problemen aus schwierigen Familien veranstaltet hat. Auch das, ist im Zuge von Kürzungen weggefallen. Es wurde verschlafen neue Kunden anzuwerben. Der private Center hat im Jahr 1993 als ehrenamtliches Projekt gestartet. Das soll es jetzt wieder werden. Es ist kein Geld da, um weiterhin einen Hauptamtlichen zu finanzieren. Alle Arbeitsprozesse sollen ehrenamtlich organisiert werden. Die Inselbewohner möchten sich engagieren und ihr Aushängeschild behalten. Es gibt zudem viele Ideen, wie die ökonomische Lage des Centers darüber hinaus verbessert werden könnte. Vergleichbare Center in Dänemark kommen nicht ohne staatliche Unterstützung aus. Als Vollzeitfreiwillige befinden wir uns mitten drin im Wandel.

Strynø, Samstag, 7:00 Uhr

Dreißig Menschen stehen vor einem Haus und machen Krach. Das Dachfenster öffnet sich. Zwei verschlafene Menschen blicken auf die kleine Versammlung herab. Wir singen (ich spiele Trompete) „morning has broken“ und schwenken dänische Papierflacken. Das Paar tritt in Bademänteln hinaus in die Morgensonne. Die Tür ist festlich geschmückt. Blumen umranken die Tür. Ist die Tür vollständig umrandet? Nur die Hälfte der Tür ist umrahmt, da das Paar zwölfeinhalb Jahre verheiratet ist. Das ist auf Strynø Brauch zur bronzenen Hochzeit. Nach 25 Jahren gibt es Blumenschmuck für den ganzen Türrahmen. Anschließend frühstücken wir zusammen frisch gebackene mitgebrachte Brötchen mit Marmelade und trinken Kaffee oder Tee.

Mittlerweile kann ich den Gesprächen oft inhaltlich folgen. Ich kann endlich an den Gesprächen teilhaben und Nachfragen stellen. Manchmal sage ich auch einen Satz dazu, wenn ich etwas zu erzählen weiß und mir ausreichend Vokabular einfällt um mich in Dänisch auszudrücken. Es gelingt mir, mich mit den nur dänisch sprechenden älteren Leuten zu unterhalten, wenn sie Geduld für unser Gespräch aufbringen.

Ich schreibe Fragen in den Sand: „wohin?“. Fasziniert schaue ich zu, wie die Wellen die Frage einfach wegwischen. Nach der ersten Welle ist noch erkennbar, da war etwas. Nach der zweiten Welle ist es verschwunden. Der Sand ist glatt gezogen. Ich schreibe die nächste Frage: „warum?“.
Wie angenehm, denke ich. Kennt ihr die Tage, an denen ihr Fragen stellt? Ich hinterfrage alles, nein ich stelle alles in Frage. Anstatt Antworten fallen mir nur neue Fragen ein. Ich weiß kaum etwas. Es ist angenehm zu zuschauen, wie die Fragen verschwinden. Vielleicht ist das etwas, das ich hier lerne. Ich nehme das Leben von Zeit zu Zeit nicht ganz so ernst. Stattdessen versuche ich es mit Gelassenheit. Ich habe den Mut zu leben. Ich habe den Mut ich zu sein.
In einem anderen Land zu leben lehrt Demut. Ich verstehe vieles nicht, bin mit vielem nicht vertraut. Manches kann ich wegen meiner eingeschränkten Sprachkenntnissen nicht tun. Ich nehme Hilfe an. Trotzdem respektieren die Leute dich. Ich bewege nicht viel. Ich tue nichts Großes. Spricht man Dänen auf diesen Respekt, diese Wertschätzung an, formulieren sie es etwas anders. Sie würden nicht zeigen, dass sie besser seien als andere. Es zu zeigen gelte als unhöflich.
Von Zeit zu Zeit füllt die Arbeit nicht annähernd den Arbeitstag. Wir sind auch ohne Arbeit. Das Leben kann auch ohne Arbeit oder Druck sein. Dennoch spüre ich immer wieder den Drang in mir, etwas tun zu wollen. Es ist langweilig, Arbeit zu erwarten und keine zu haben.