03 Mai

Voyage au bout du monde

Wie der Projekttitel erahnen lässt, ist „Voyage au bout du monde“ ein Freiwilligendienstprojekt in Frankreich. Genauer gesagt in Quimper. Unsere Freiwillige Thea ist dort schon seit ein paar Monaten. Hier ihr langer, aber wirklich astrein geschriebener Bericht. Eine wahre Freude das zu lesen…

„Und wenn wir einfach nach Perpignan gehen? Mit dem Bus nach Pont du Gard klappt nicht, auch wenn wir es so sehr wollen. Avignon ist die falsche Richtung. In Montpellier waren wir schon letztes Mal. Béziers ist zu überschaubar. Für Barcelona reicht die Zeit nicht aus und in Nîmes haben wir in den letzten zwei Tagen bereits alles erkundet.“
Ich zu meiner Mitfreiwilligen, Mitbewohnerin und Mitreisenden Ema.
Wir befinden uns in Nîmes in einer internationalen Freiwilligen-WG und am nächsten Tag sollte unser midterm Seminar in Narbonne starten.
„Zug, Bus, Blabla car, trampen?“ In wenigen Minuten wurden die besten Möglichkeiten recherchiert und dann stand fest, wir würden den nächsten Tag in Perpignan, direkt an der spanischen Grenze, verbringen.
Und dank der Sonne wurde dieser Tag zu einem wunderbarem. Es war meine beste Spontanreise, eine Reise in der Reise, da wir ja schon auf Reisen waren.
Und ja, in den vergangenen Monaten bin ich zu vier großen Reisen aufgebrochen und habe somit den Großteil Frankreichs gesehen. Ich trampe gerne und couchsurfe sehr viel. Ich habe diese Art zu Reisen liebgewonnen und so lernt man nicht nur wunderschöne Orte, sondern auch wunderbare Menschen an den wunderschönen Orten kennen.
Ich bin nun seit 7 Monaten als Freiwillige in Quimper, einer kleinen Stadt am äußersten Westzipfel Frankreichs in einem Maison Pour Tous tätig.
Das MPT ist in einem Problemviertel mit einer hohen Arbeitslosigkeit und multikultureller Bevölkerung gelegen. Das Haus versucht vor allem, den Einwohnern dieses Viertels, aber auch Leuten von außerhalb, Platz für Kultur, Kreativität und Möglichkeiten des Austausches und der Bildung zu geben, indem es viele verschiedene Kurse, Workshops und Festivals anbietet.
Einen großen Bereich bilden die «ateliers de la langue française». In diesen in fünf Niveaus unterteilten Französischkursen können Analphabeten als auch Fortgeschrittene zweimal die Woche die französische Sprache erlernen. Die Kurse werden von rund 50 freiwilligen Rentnern gegeben. Man findet kaum in einem Kurs eine Nationalität mehrmals vertreten. Sie kommen aus europäischen Ländern, Asien, Afrika, Südamerika, Nordamerika. Wir haben Geflüchtete, Au Pairs, Freiwillige, Arbeitssuchende, Arbeitende…
Dann bietet das MPT noch wöchentliche Kurse wie Theater, Malerei, Handarbeiten, Spieleabende, Tanzen, Gymnastik, Kochen, Gärtnern (wir haben eigen kollektiven Garten!) und Musik an. Daneben gibt es noch ein Jugendzentrum und einen Hort für Kinder. Bei meiner Ankunft war ich sehr überrascht und gleichzeitig begeistert über die zahlreichen Möglichkeiten.

Und welche Rolle spiele ich in dem ganzen Getriebe? Ich arbeite im Sektor der Französischkurse, helfe dort den Freiwilligen mit der organisatorischen und pädagogischen Arbeit. Doch die sehr alten Lehrenden haben nicht so viel Elan und innovative Methoden wie ich es für nötig halte. Und deswegen bin ich da!
Meine Mission besteht darin, die Französischkurse mit den anderen Aktivitäten des MPT zu verbinden. Die Idee ist, nicht nur im Klassenraum zu sitzen und dem Lehrer zuzuhören, sondern zusammen aktiv zu werden und nebenbei gezielt die Sprache zu lernen. Ich werde sehr frei gelassen, es liegt an mir, wie weit ich mich engagieren möchte. Jeden Montag und Donnerstag bin ich bei den Französischkursen dabei und die restlichen Tage habe ich Zeit für die Planung und Koordinierung meiner Projekte. Das reicht von Improvisationsübungen, über gemeinsames Kochen bis hin zu Interviews mit Politikern.
In der Mittagspause biete ich Karaoke-Singen auf Französisch an und vor kurzem habe ich ein eigenes Magazin mit den 150 Schülern fertiggestellt. Daneben bin ich auch bei Ausflügen, einer Modenschau und Themenabenden des Hauses dabei.
Zur Krönung findet im Juni ein großes Musikfestival statt, bei dem ich in einer orientalischen Band mitwirken werde.

Konkreter Einblick in eine meiner Aktivitäten: Ich bin gerade dabei, eine Weltkarte aus alten Kaffeesäcken zu fabrizieren. Dafür haben wir mit einem Atelier Recyclage die Jutesäcke aufgeschnitten und zu einer riesigen Fläche zusammengenäht. Um die Oberfläche zu spannen, habe ich mit dem Atelier Jardinage im gemeinsamen Garten an einen Rahmen aus Bambusstäben gewerkelt. Mit Leuten aus den Französischkursen haben wir dann mithilfe eines Videoprojektors alle Länder dieser Welt auf die Säcke gezeichnet. Nach ca. ein Drittel der Arbeit hat ein Kind am Projektor gerüttelt und folglicherweise alle Grenzen verschoben.
Die nächste halbe Stunde verbrachten wir dann damit, die ursprünglichen Proportionen wieder herzustellen. Im nächsten Schritt werde ich mit dem Atelier Tricot et Broderie die Grenzen mit Nadel und Faden nachsticken. Die Karte ist am Ende für die Französischkurse gedacht, sodass alle 150 Lehrnende ihren Herkunftsort markieren können.
Außedem stecke ich viel Arbeit in ein gemeinsames Projekt der fünf Strukturen, in denen wir fünf Freiwilligen arbeiten. Kurz vor der Europawahl wollen wir für Europa sensibilisieren. Unsere Zielgruppe sind Kinder, Menschen mit Behinderung, Schüler und alte Damen, die nicht weiter als über ihren Gartenzaun schauen.

Der Putzplan schmückt nicht nur unsere Kühlschranktür, nein, er wird streng eingehalten. Als wir drei Freiwilligen kommend aus Kroatien, Serbien und Deutschland in unserer Wohnung im September zusammen saßen, sagte die eine: „Ich mag keine Regeln. Lass uns nichts ausmachen!“ Dies war ein Schock für mich, für jemanden, der von einer Regel zur anderen gelebt hat.
Jetzt teilen wir alle Ausgaben und tauschen uns über den Tag der anderen aus, da wir in unterschiedlichen Organisationen arbeiten. Wir haben einen kroatischen Nationalsong, den die beiden mir beigebracht haben, der sozusagen unsere Hymne ist. Und hier wird viel gesungen! Der Altersunterschied von 7 und 8 Jahren hat sich nach anfänglichen Bedenken mehr als eine Bereicherung als eine Barriere herausgestellt. Wenn ich so in anderen Freiwilligen-WGs übernachte und die Berichte der anderen höre (komplett alleine oder zu fünft ohne eigenen Raum, geteiltes Zimmer, nicht miteinander sprechen etc.), bin ich umso dankbarer für meine eigene WG als ich ohnehin schon bin.

Und an den Wochenenden? Nun ja, da ich nur 20 min. von der Küste wohne, ist bei schönem Wetter (ja, es kommt schon mal vor, dass es von morgens bis abends in Strömen regnet) Meer ein Muss. Allerdings verbringe ich meine Freizeit hauptsächlich mit Nicht-Franzosen, da es echt schwierig ist, hier Kontakte zu knüpfen. Aber ich habe auch einen Studenten als Sprachtandem gefunden. Ich nehme jede Woche an einem Theaterimprovisationskurs teil. Natürlich auf Französisch, was mich das ein oder andere Mal sehr demotiviert hat, da es bei Improvisation auf Schnelligkeit und Zuhören ankommt und genau diese zwei Punkte auf einer Fremdsprache Zeit brauchen. Wenn ich die völlig aus dem Kontext gerissenen Wörter nicht kenne, die mein Spielpartner wie Feuer aus seinem Mund auf die Bühne speiht, kann ich den Feuerball nicht so elegant zurückwerfen. Es fehlt mir, die Worte kreativ zu benutzen.

Bisherige Bilanz? Zunächst einmal kann ich sagen, dass ich meine obersten Ziele meiner Zielpyramide erreicht habe und mich insgesamt in so vielen Bereichen einbringen kann. Ich kann mich nun stundenlang auf Französisch unterhalten. Ich habe viele Projektideen umgesetzt, einen authentischen Einblick in eine französische soziokultulle Assoziation und deren Arbeitsweise bekommen und, so hart es auch klingt, das reale Arbeitsleben kennengelernt. Trotzdem bin auch ich hart in den sogenannten Kulturschock gefallen, im Dezember und Januar, wo das Wetter so grau war. An einem Punkt konnte ich nicht mehr die Französischlehrer sehen, da sich die Kommunikation als schwierig herausstellte, ich in der Sprache keine Fortschritte sah und mir irgendwie alles über den Kopf wuchs.
Die Anpassungsphase ist längst eingetreten und so sehe ich schon voller Emotionen meinem Ende in zwei Monaten entgegen. Eines der Highlights waren die zwei Seminare, bei denen ich die Chance hatte, mich mit rund 60 weiteren europäischen Freiwilligen ganz Frankreichs zu vernetzten und in einem nonformalen Bildungscharakter näheres über den EFD zu erfahren. Natürlich habe ich mich auch selbst besser kennengelernt, inspirierende Menschen getroffen, eine Menge über die französische Kultur und der der Bretagne gelernt und mir ist klar geworden, was jeden Tag Kochen bedeutet.
Eine weitere Tatsache, für die ich besonders dankbar bin: Ich bin im interkulturellem Kontext und lerne jeden Tag Neues über andere Kulturen, Sichtweisen, das Zusammenleben und Völkerverständigung.
Ich bin nicht mehr im kleinen deutschen Quadrat gefangen. In neun Monaten passiert viel in einem Leben, aber im Ausland ist alles nochmal intensiver. Man wird mit anderen Lebensweisen konfrontiert und kann sich dann darauf ausrichten, was man wirklich im Leben will. Ich bin voller Dankbarkeit, all diese Erfahrungen machen zu dürfen. Auch wenn ich bald wieder diese wunderschöne Region verlassen werde, ist mein Inneres voll tausender unglaublicher Momente.