17 Mai

Find Your Way

„Find Your Way“ war ein EFD-Projekt in Moldawiens Hauptstadt Chisinau. Wir hatten dort schon öfters Freiwillige und es ist jedes Mal eine ganz besondere Erfahrung dabei herausgekommen. So auch für Kristin, die dort für fast 10 Monate einen EFD leistet. Sie hat einen wunderbaren Bericht nach gut 8 Monaten verfasst, den man hier lesen kann:

Um meinem EFD möglichst kurz zusammenzufassen: ganz anders als gedacht – aber die beste und wichtigste Erfahrung in meinem Leben.

Chişinău ist unglaublich chaotisch, aber gerade von April bis November auch wunderschön. Ich muss zugeben – man braucht ein bisschen, um das zu merken, denn die Stadt macht es einem nicht einfach.
Es ist viel kaputt, die Bürgersteige sehen teilweise aus als ob dort erst vor wenigen Tagen krasse Straßenschlachten stattgefunden haben, bei Regen hat man ohne Gummistiefel echt keine Chance, die Schuhe trocken zu behalten, der ÖPNV ist auf den ersten Blick ein unverständliches Bus- und Minibusnetzwerk ohne jegliches System, die Märkte wuselig mit unüberschaubarem Angebot und die Mentalität der Leute sowie insbesondere die Herangehensweise an die Arbeit ergibt aus deutscher Perspektive oft eher wenig Sinn.
Es braucht viel Toleranz und eine große Offenheit sowie eine gesunde Portion Neugierde, die Perspektive zu wechseln, um Moldawien nach ein paar Wochen oder Monaten in einem positiven Licht zu sehen. Denn:
Chişinău ist sehr grün, die Leute freundlich und gerne behilflich, das Land mit seiner Geschichte und der aktuellen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Situation einzigartig und wahnsinnig interessant. Es gibt viele Parks, in denen man sich entspannen kann und dem Stadttrubel plötzlich sehr fern ist, viele Märkte auf denen man richtige Schnäppchen machen kann und 5 bzw. 6 Stadtteile, die alle ihren eigenen Charakter haben – ein Paradies für Entdecker und Spazier-lustige!

Das mit der Sprache bzw. dem Sprachgewusel aus Rumänisch/Moldawisch und Russisch ist mir bis heute ein Rätsel, ebenso die Identitätsfrage der Moldawier – fragt man da 20 Leute nach ihrer Meinung bzw. persönlicher Identifikation, bekommt man mindestens 15 verschiede Antworten. Das ist allerdings ein schönes Beispiel für die Vielfalt des Landes – die zwar anders aussieht als in Deutschland, aber dennoch immer wieder neues zum Entdecken bietet, auch noch nach mehr als einem halbem Jahr. Die Stadt selbst und das Busnetzwerk begreift man auch ziemlich schnell, wenn man es denn versucht – und plötzlich merkt man, dass es schon System hat, dass dieses auf den ersten Blick aus noch deutscher Sichtweise nur nicht erschließbar ist.

Ich wohne relativ im Zentrum mit einer Spanierin und einem Niederländer zusammen, bei wechselnder Besetzung des 4. Zimmers. Ich musste im Januar einmal umziehen, was ich schade fand, weil ich mich gerade erst in Ciocana eingelebt hatte. Die jetzige Wohnung aber finde ich sowieso viel schöner. Sie hat alles was man braucht, auf (zugegebenermaßen auch unnötigen) Luxus wie Spülmaschine oder Bügelbrett muss man natürlich verzichten. Busanbindungen sind vorhanden, trotzdem ist man am Ende viel zu Fuß unterwegs – bequeme Schuhe sind also ein Must-Have.

Allgemein gibt es sehr viele Freiwillige in Chişinău, was gleichzeitig ein Segen und ein Fluch ist.
Ein Segen, weil die Community echt toll ist – alles unglaublich tolle, inspirierende und respektvolle Menschen, die einem auch in jeder schwierigen Situation sofort zur Seite stehen und mit denen man obendrein noch super Partys feiern kann.
Andererseits erschwert das enge Netzwerk natürlich die Integration in die moldawische Kultur – man muss die Moldawier halt erstmal kennenlernen bevor man sich mit ihnen anfreunden und die Kultur verstehen kann, und den Kontakt muss man schon aktiv suchen, da er einem nicht auf dem Tablett serviert wird. Ich hätte gerne selbst mehr Kontakt zu „echten“ Moldawiern gehabt, muss mir aber selbst zuschreiben dass ich irgendwann aufgehört habe, es zu versuchen. Kennengelernt habe ich viele, nur richtige Freundschaften sind daraus nicht entstanden. Aber das ist auch OK, denn ich habe trotzdem unglaublich interessante, interkulturelle Erfahrungen gemacht – nur dass sie eben nur zu einem Teil moldawisch sind, und ansonsten von tollen Menschen aus Spanien, Polen, Frankreich, Italien, Schweden, Finnland, der Ukraine, Japan und den Niederlanden geprägt wurde. Sehr gesamteuropäisch also, das gibt mir eine Perspektive auf viele Dinge, die ich nicht mehr missen möchte.

In meinem ursprünglichen Projekt war es leider nicht so toll, so dass ich nach 4 Monaten, pünktlich zum Anfang des neuen Jahres, mit Unterstützung von ADVIT letztendlich gewechselt habe. Was genau das Problem war, ist schwierig zu sagen, es kam vieles zusammen – allgemein ziemlich unmotivierte Angestellte, die mit einem Freiwilligen wenig anfangen konnten, ein finanzieller Engpass der Organisation der darin resultierte, dass die Arbeit fast auf Eis gelegt wurde und ich nichts zu tun hatte, der Fakt, dass mein Supervisor kaum weiß, was EVS überhaupt bedeutet und dazu auch nur Französisch kann (ich zwar auch, aber nicht so verhandlungssicher, dass ich in Problemgesprächen meine Meinung selbstbewusst genug vertreten und meine Perspektive begründet darlegen konnte). Ein anderer Freiwilliger, der einen besseren Draht zu den Angestellten herstellen könnte als ich und vielleicht auch von der Thematik (Denkmalschutz) ein wenig mehr Ahnung hat als ich, wäre dort aber vielleicht gar nicht so schlecht aufgehoben.
Nun arbeite ich in einem Kinderheim, in einem Jugendzentrum wo wir Erasmus+ Austauschprojekte schreiben und versuchen, Finanzierung dafür zu bekommen – und zeitweise auch für ADVIT. So bin ich auf jeden Fall gut ausgelastet und die Arbeit macht mir echt Spaß, auch wenn ich wegen der schwer vorstellbaren Ungeplantheit der Moldawier manchmal morgens noch nicht weiß, wo ich den Tag über arbeite. Am Anfang fand ich das schwierig, aber inzwischen habe ich mich dran gewöhnt, genieße es sogar – und habe mir eine echt nützliche Fähigkeit zur Flexibilität und Spontanität erarbeitet.
In dem Kinderheim gefällt es mir super. Es leben dort ca. 18 Kinder von 3-13 Jahren, die vormittags zur Schule oder zum Kindergarten gehen aber den Rest der Zeit fast ausschließlich in dem Haus oder dem betonierten Hof verbringen. Die Arbeit dort war, wie alles, am Anfang schwierig – aufgrund der Sprachbarriere, weil man noch nicht weiß wie alles funktioniert und die Doamnas (die dort angestellten Sozialarbeiterinnen) einem leider wenig erklären. Lernen aus Fehlern heißt die Devise. Sobald man aber die Kinder und die Doamnas ein bisschen besser kennenlernt und besser einschätzen kann, wird die Arbeit leichter (obwohl sie immer ziemlich anstrengend ist) – und das Lächeln der Kinder, wenn man ihnen Kaugummi mitbringt, mit ihnen mal in den Park geht oder überhaupt mit ihnen ausgelassen herumtobt um den öden Heimalltag ein wenig interessanter zu machen, ist unbezahlbar und die Mühe definitiv wert. Und zum Spracherwerb (v.A. Rumänisch) ist die Arbeit mit Kindern natürlich ein riesengroßer Vorteil.

Die Zusammenarbeit mit ADVIT, die Coordinating Organisation, welche unter anderem für eure Wohnung, euren Mentor und Sprachunterricht, das Residence Permit/Permis de Sedere, das monatliche Taschengeld und das Einsammeln der monatlichen „Working hours“ zuständig ist, hat für mich gut geklappt. Es gibt zwar immer wieder Beschwerden und die Arbeitsweise ist mir nicht ganz transparent, aber wenn man sich da weitestgehend raushält, kleinere Probleme in Eigenregie löst und einfach nur seinen EFD in Chişinău genießen möchte ohne sich um nervigen bürokratischen Kram zu kümmern, ist an ADVIT eigentlich nichts auszusetzen.

Wenn ihr einen EFD plant, dann lasst euch gesagt sein, dass der Erfolg des ganzen 80% von euch abhängt. Wenn ihr nichts tut, um bestehende Probleme oder Problemchen (und davon gibt es schon viele) zu lösen, dann ändert sich auch nichts daran. Wenn ihr aber die Initiative ergreift, Kontakte knüpft, eigene Projekte startet, und keine Angst hab, auch an Herausforderungen selbstbewusst ranzugehen,  dann werdet ihr zu den Lernerfolgen auch noch einen echt geilen EFD haben.
Denn Möglichkeiten gibt es ohne Ende, man muss sie nur aktiv suchen. Insofern bereitet einen ein EFD sehr gut auf den Ernst des Lebens vor. Es ist für mich eine unglaublich lehrreiche und tolle Erfahrung gewesen, die mir sehr viele Freunde, Erinnerungen und Perspektivenwechsel gebracht hat, welche mich den Rest meines Lebens begleiten werden. Außerdem hat es als „Gap Year“ zwischen Abitur und Studium für mich den Vorteil gehabt, dass ich mich selbst nun viel genauer kenne, weiß, was ich will und was nicht, was mir gefällt und was nicht, woran ich noch arbeiten muss und in welchen Bereichen ich schon echt große Erfolge nachweisen kann. Diese Erkenntnisse sind unersetzbar und werden mir im Studium und weiteren Leben sehr hilfreich sein.