16 Nov

live Europe in daily life

„live Europe in daily life“ ist ein Projekt in Flers/Frankreich. Das liegt in der Normandie. Unsere Freiwillige Lydia ist dort seit mehr als 2 Monaten und hat einen langen, sehr schönen Bericht geschrieben, der alle möglichen Aspekte super aufzählt. Welche? Lest selbst!

2 ganze Monate bin ich nun schon in Flers, einer kleinen Stadt in der Normandie, und 10 liegen noch vor mir.
Trotz aller Zweifel zu Beginn – ich wollte eigentlich nur 6 Monate lang nach Frankreich, um danach noch einen weiteren Freiwilligendienst zu machen – bin ich nun doch mehr als zufrieden mit der Entscheidung, das Projekt dennoch anzunehmen.

Arbeit
Ich arbeite in einer sehr ländlichen Gegend. Vier kleine Kommunen (Bellou-en-Houlme, La Ferrière Aux Étangs, Saires La Verrerie und La Coulonche) pflegen seit bald 25 Jahren eine Städtepartnerschaft mit Wehretal in Hessen und ich bin seit Anfang September stolze Freiwillige des Comité d’Échanges.
Meine Aktivitäten sind total vielfältig und keine Woche gleicht der anderen:
-Mal habe ich Projekte mit den anderen Freiwilligen des MJC in Flers (meiner koordinierenden Organisation), wir arbeiten beispielsweise gemeinsam an einer Ausstellung über unsere Heimatländer, die an verschiedenen Orten zirkuliert,
-ansonsten bin ich viel in der Bibliothek, wir empfangen oft Klassen und ich darf dann die Bücherauswahl treffen und den Kindern vorlesen (was mir als Bücherliebhaber unglaublich Spaß macht), sowieso finden immer viele kulturelle Aktivitäten statt, bei denen ich assistiere (von einem professionellen Märchenerzähler bis zum Lieder schreiben)
-außerdem war ich auch schon einige Male im Centre de Loisirs zu den Aktivitäten der Kinderbetreuung nach der Schule und in den Ferien
-in den zwei Grundschulen werde ich je eine Woche verbringen und ein bisschen die deutsche Kultur vorstellen (vom Weihnachtsplätzchen Backen bis zum Lieder Singen und Basteln) und auch in der Oberschule darf ich bald im Deutsch-, Englisch- und Geschichtsunterricht helfen und bin bei einem Schüleraustausch (etwa 25 deutsche Schüler verbringen im März eine Woche bei ihren französischen Gastfamilien) als Übersetzerin und Begleiterin dabei
-und natürlich beginnen auch langsam die Vorbereitungen für das 25. Jubiläum der Städtepartnerschaft
… also ich langweile mich definitiv nicht! J

Kleine Rückschläge und Zweifel
Natürlich lief auch nicht immer alles perfekt. Um von einer Kommune zur nächsten zu kommen, wurde mir ein Auto zur Verfügung gestellt. Fahranfänger, anderes Land, unbekannte Strecken, ein kleiner Clio, der genauso alt ist wie ich: Kurz gesagt, ich kam am Anfang gar nicht mit dem Auto klar. Jedoch haben mir mehrere Leute angeboten, mich zu begleiten, und so habe ich mich mal mit meinem Gastvater, mal mit dem Mann meiner Tutorin, mal mit der Finanzbeauftragten des Comités Stück für Stück an alles gewöhnt und heute fahre ich ohne Probleme.
Auch der Umgang mit Kindern hatte mir zu Anfang etwas Sorgen bereitet, da ich abgesehen von etwas Nachhilfe geben zuvor nicht viel Erfahrung mit Kindern hatte, doch die Kinder sind wirklich alle unglaublich lieb und selbst wenn sie mal Probleme machen, weiß ich jetzt immer besser, mir Respekt zu verschaffen – so oder so ist ja fast immer noch jemand anderes dabei.

Unterkunft
Die ersten zwei Wochen habe ich zur Eingewöhnung in einer Gastfamilie mit drei Kindern (2, 8 und 9 Jahre alt) gelebt. Meine Gastmutter ist Französischlehrerin an der Oberschule und mein Gastvater Landwirt und produziert Milch, die zu dem leckeren Camembert verarbeitet wird. Es war wirklich eine tolle Erfahrung, um gleich ein bisschen die „echte“ französische Lebensweise kennenzulernen, das Essen war einfach super und auch so habe ich mich durch die Herzlichkeit von Anfang an wohl gefühlt. Auch jetzt noch schaue ich regelmäßig mal bei ihnen vorbei, meine Gastmutter ist auch gleichzeitig meine Tutorin für den Alltag und selbst im Comité aktiv.
Generell ist die Gastfreundlichkeit in der Region einfach unglaublich. Ständig werde ich zum Essen eingeladen (und kann nebenbei gleich alle möglichen Freunde mitnehmen) und bekomme frisches selbstangebautes Gemüse oder selbstgemachte Marmelade.
Jetzt wohne ich in einer WG mit einem Franzosen (übrigens der Neffe meiner Gastmutter, hier kennt sowieso jeder jeden) und das klappt auch gut. Die Wohnung ist natürlich nicht super modern eingerichtet, aber gemütlich und man hat einen tollen Blick auf den Sonnenuntergang. Außerdem ist sie schön zentral gelegen, den Weg zum Bahnhof, MJC oder der Einkaufsstraße kann ich in weniger als 15 Minuten zu Fuß machen – für mich als Berlinerin völlig ungewohnt aber total entspannt.

Freizeit
Der wichtigste Aspekt, damit ich mich an einem Ort wohl fühle, sind immer die Menschen um mich herum. Damit habe ich in Flers/Bellou wirklich absolutes Glück.
Die Leute, mit denen ich arbeite, sind unglaublich lieb und herzlich, ich bin schon halbes Familienmitglied in zwei Familien, und auch was Gleichaltrige angeht kann ich mich wirklich nicht beschweren: Wir sind eine Mädelsgruppe von fünf Freiwilligen in Flers und nächster Umgebung, vier deutsche und eine Türkin (sehr gut, so sind wir auch in der Freizeit gezwungen, Französisch zu sprechen, außerdem liebe ich einfach die türkische Küche), also meine Wochenenden sind ebenfalls gut gefüllt.
Eigentlich macht man wirklich jede Woche oder beinahe jeden Tag eine tolle Erfahrung. Letztes Wochenende zum Beispiel waren wir beim Festival Bebop in Le Mans, ich kann jetzt schon Macarons backen und kenne das beste Crêpeteig-Rezept, habe Spitze hergestellt (obwohl ich mich zum Stricken und ähnlichem sonst nur mit Gewalt zwingen ließ) und weiß, wie man im Watt Muscheln sammelt und anschließend kocht (und das als absolutes Stadtkind).
Generell hat die Normandie wirklich unglaublich viel an kulturellen Spezialitäten zu bieten, Küche und Alkohol natürlich (Cidre, Poiré, Pommeau, Calvados, …) und es gibt einfach noch so viele Orte zu entdecken, dass ich jetzt schon Angst habe, meine Wochenenden und freien Tage können gar nicht ausreichen.