02 Jan

TESORI nella VITA

„TESORI nella VITA“ war ein Freiwilligendienstprojekt in der Nähe von Asti in Italien. Wir haben bereits zum zweiten Mal eine Freiwillige in jenem Projekt. Sarah war dort für ein halbes Jahr. Hier ihr sehr lesenswerter Bericht nach 4 Monaten:

Eines gleich zu Beginn: „TESORI nella VITA“  ist um einiges intensiver als viele andere EFD-Projekte. Wem es also nicht in erster Linie um die Arbeit im Projekt geht, sondern um eine Möglichkeit nach Italien zu reisen, der sollte sich besser nach etwas anderem umschauen.

Wer aber bereit ist, sich voll auf das Projekt und das Leben in Italien einzulassen, wer wirklich etwas Nützliches tun und anderen helfen möchte, wer Neues lernen, Erfahrungen sammeln und sich an Herausforderungen erproben möchte, für den ist dieses Projekt genau das Richtige.

Bei der „Host Organisation“ handelt es sich um eine inzwischen ziemlich große Wohltätigkeitsorganisation. Sie unterhält viele verschiedene Projekte, die aber alle in enger Zusammenarbeit stehen. All diese unterschiedlichen Aktivitäten haben immer das eine Ziel: Menschen zu helfen, die momentan am Rande der Gesellschaft stehen.
Der europäische Freiwilligendienst spielt sich vor allem in zwei Einrichtungen ab: in einem therapeutischen Bauernhof namens „Casa Bosticco“ und in einem Frauenhaus.

Beim Frauenhaus handelt es sich um ein neu renoviertes, italienisches Landhaus in einer wunderschönen ruhigen Umgebung. Es ist ein Zufluchtsort, ein Punkt der Ruhe, der jedoch ständig sein Gesicht verändert. Das Leben dort verändert sich mit den Frauen und Familien, die kommen und gehen wie an einem Bahnhof. Jetzt, nach vier Monaten, ist fast keiner mehr dort, den ich bei meiner Ankunft getroffen habe.

Das Gemeinschaftsleben in dieser „Comunità“ ist weitestgehend normal und alltäglich, d.h. Kochen, Putzen, im Garten arbeiten und die zwei Esel und Schafe versorgen, die ebenfalls hier leben. Wirklich nervös war ich nur vor der Aussicht auf die Kinder aufzupassen. Immerhin konnte ich bei meiner Ankunft so gut wie kein Italienisch. Wie sollte das funktionieren? Tatsächlich ist das Babysitten inzwischen meine Lieblingsaufgabe geworden. Und die italienische Sprache habe ich eben zusammen mit den Kindern gelernt. Ich bin wohl die einzige Erwachsene hier, die sich auch immer auf die Sendungen mit „Pimpa“ und den anderen Zeichentrickfiguren freute. Endlich wurde mal langsam und deutlich gesprochen!
Von den eigentlichen Problemen, die diese Frauen und Familien haben, bekommt man mal mehr und mal weniger mit. Es bleibt jedem selbst überlassen, wie viel man erzählen möchte. Die meiste Zeit spielt sich hier jedoch das ganz normale Alltagsleben ab.

Nun stellt sich aber die spannende Frage: „Wie sieht es eigentlich auf einem therapeutischen Bauernhof aus?“ An diesem Punkt muss ich euch leider enttäuschen. Denn „Casa Bosticco“ kann man nur schwer beschreiben, man muss es einfach erleben. Um mich darauf vorzubereiten hat mir einer meiner beiden Mentoren fast zwei Stunden lang Fotos gezeigt und Anekdoten erzählt. Er hat es zwar geschafft mir einigermaßen ein Bild zu verschaffen, doch das eigentliche Leben hier, ist dann nochmal etwas anderes.
Die Menschen, die hier wohnen heißen „Ospiti“, also Gäste. Allen gemeinsam ist, dass sie auf irgendeine Weise eine Einschränkung besitzen, meist psychiatrischer Art, die es ihnen nicht erlaubt, ohne Hilfe in der Gesellschaft zu leben. Abgesehen von diesem gemeinsamen Problem, könnten die „Ospiti“ jedoch unterschiedlicher nicht sein.
Da kann man sich schon vorstellen, dass der ganz normale Alltag und das Zusammenleben in dieser „Comunità“ sehr „verrückt“ werden kann.
Bei den Spaziergängen mit einer der „Ospiti“ haben wir von Laura Pausini bis hin zum Papst Francesco persönlich schon alle möglichen Berühmtheiten auf der kleinen Landstraße von San Damiano d’Asti getroffen.
Im Fernsehen hat man mich übrigens auch schon öfters auftreten sehen…bei der „Tale Quale Show“… die Backgroundtänzerin mit den blauen Augen….Habt ihr mich etwa noch nicht gesehen?!
Als plötzlich immer das Klopapier aus meinem Zimmer verschwand, dachte ich zunächst, ich würde nun wirklich verrückt werden. Das Klopapier! Wieso ausgerechnet das Klopapier?!
Naja, ich denke man sieht schon, dass es hier bestimmt nicht langweilig wird.

Das Zusammenleben in den beiden „Comunità“ wird von den „Educatori“ geregelt, die sich in Schichten abwechseln. Wie der Name schon sagt, haben diese vor allem eine erzieherische Funktion. Denn Casa Bosticco hat es zum Ziel, die Menschen so weit wie möglich in die Gesellschaft zu integrieren. Nur in den Fällen, in denen die Aussicht auf ein eigenständiges Leben nicht gegeben ist, soll der Bauernhof ein dauerhaftes zu Hause bieten.

Die Aufgaben des Freiwilligen, sei es nun im Frauenhaus oder auf dem therapeutischen Bauernhof, lassen sich eigentlich schnell zusammenfassen: Helfen und Zusammenleben.
In der Praxis kann dies jedoch wirklich sehr unterschiedlich und vielfältig aussehen. Selbst nach vier Monaten, ist mir bestimmt noch nicht langweilig geworden und auch jetzt noch finde ich mich immer wieder in neuen Situationen und erlebe neue Dinge.
Die Tätigkeiten unterscheiden sich nicht nur von der einen Einrichtung zur anderen, sondern verändern sich auch im Laufe der Zeit, mit den Jahreszeiten und mit den Menschen die kommen und gehen.
Zu Beginn des Projekts, als ich gerade erst im neuen Land angekommen war und noch fast kein Wort Italienisch sprechen konnte, beschränkte sich mein Aufgabenbereich v.a. darauf die „Ospiti“ direkt zu unterstützen. Soll heißen, entweder im Haushalt oder in der Landwirtschaft mithelfen: kochen, waschen, putzen, die Tiere des Hofes versorgen und im Garten und auf den Feldern mithelfen. So komme ich nicht nur in den Genuss die Vielfalt der italienischen Küche kennenzulernen, sondern bekomme auch eine Menge über Landwirtschaft mit. Es ist einfach unglaublich, was wir hier bis zum Beginn des Winters alles geerntet haben: von gängigem Obst und Gemüse, bis hin zu Pflanzen, von den ich zuvor noch nicht einmal gehört hatte, wie den „Cardi“.

Doch das eigentlich Wichtige bei diesen Tätigkeiten ist nicht was man macht, sondern wie man es macht. Es geht darum, dass man mit den „Ospiti“ zusammenarbeitet, dass man redet, dass man gemeinsam lacht, dass man einfach da ist.
Je mehr ich mit den Abläufen und vor allem mit der Sprache hier vertraut geworden bin, ist noch ein weiterer großer Aufgabenbereich hinzugekommen: das Organisieren.
Stück für Stück hat man mich immer mehr Tätigkeiten der „Educatori“ machen lassen. Zunächst hieß das nur den nächtlichen Alarm einschalten. Dass es diesen gibt, hat man mir zu Beginn übrigens vergessen zu sagen. So wach war ich an einem Samstagmorgen wohl noch nie.
Dann kamen immer weitere Aufgaben hinzu: Auf die Zigaretten aufpassen, den Einkauf  und die Mahlzeiten organisieren, die Tabletten und Tropfen austeilen,…
Inzwischen haben der italienischen Freiwillige (Servizio Civile), der hier ebenfalls arbeitet, und ich auch immer wieder einen Morgen oder Nachmittag komplett alleine zu regeln.

Casa Bosticco ist sehr traditionell und auch der katholische Glaube spielt hier eine große Rolle. Es ist also ein perfekter Ort, um die italienische Kultur kennenzulernen. Der Glaube gibt den Menschen hier Halt. Es ist jedoch auch kein Problem, wenn man nicht gläubig ist. Ich selbst gehöre keiner Religion an und finde es daher umso spannender den katholischen Glauben kennenzulernen.
Das Frauenhaus hingegen ist ein sehr multikulturelles Umfeld. Viele der Bewohner haben einen nicht-italienischen Hintergrund. Neben Italienerinnen habe ich hier schon Frauen aus Rumänien, Marokko, Albanien und dem Senegal getroffen.

Wenn ich auf die nun fast vier Monate zurückblicke, die ich in diesem Projekt verbracht habe, dann sehe ich viele schöne, unvergessliche Erlebnisse und Erfahrungen. Ich muss jedoch auch zugeben, dass es nicht immer einfach ist.
Noch nie zuvor habe ich etwas Vergleichbares getan. Ich habe unzählige größere und kleinere Fehler gemacht und die Wörter, die ich am schnellsten gelernt habe waren „non ho capito“ („ich habe nicht verstanden“) und „prima volta“ („zum ersten Mal“). Und auch emotional war es für mich nicht immer leicht. Doch so ist das nun mal, wenn man etwas Neues lernen möchte. Gerade diese schwierigen Momente, haben mir vielleicht am meisten beigebracht.
Und Hilfe kann man sich hier sicher sein. In diesem Projekt stehen mir gleich zwei wunderbare Mentoren zur Seite, die mich in jeglicher Weise unterstützen. Auch von den „Educatori“ und selbst von den „Ospiti“ habe ich immer Unterstützung erfahren.

So viel zur Arbeit im Projekt. Doch dann sind da natürlich noch die anderen wunderbaren Seiten eines jeden EFD, die ihn zu einem unvergesslichen Erlebnis machen: Das Reisen in Italien, das Entdecken einer anderen Kultur und die Möglichkeit junge Menschen aus ganz Europa beim „On-Arrival-“ und „Mid-Term-Training“ kennenzulernen. Beides unvergessliche Treffen, bei denen wir unglaublich viel Spaß hatten.

Kurzum: In TESORI nella VITA“ zeigt sich das Leben in seiner ganzen Bandbreite, mit all seinen Gegensätzlichkeiten: Hier erlebt man kleinere und größere Streitereien, Verzweiflung und Krankheit, ebenso wie Hilfsbereitschaft, Zusammenarbeit, Hoffnung und Glaube.
„Die „Comunità“ ist wie ein Spiegel.“ Ich bin mir nicht mehr sicher, wer mir diesen Satz vor vier Monaten gesagt hat, doch es stimmt. Noch nie zuvor habe ich so viel über andere Menschen und mich selbst erfahren.

Auch wenn vieles anders ist als erwartet, habe ich schon unglaublich viel aus diesem Projekt mitgenommen. Ich bin gespannt, was die letzten zwei Monate wieder an Überraschungen für mich bereithalten werden.