15 Apr

Youthquake

„Youthquake“ ist ein Freiwilligendienstprojekt in Italien. Ohjéminée, werden gleich alle denken, und das in diesen Zeiten…! Naja, die Zeiten waren ja zu Beginn noch andere. Unsere Freiwillige Leah hat sich entschieden während der Pandemie nicht in die Heimat zurückzukehren, sondern ganz bewusst dort zu bleiebn. Chapeau! Das muss man ja erstmal auch aushalten. Hier ihr wirklich erstklassiger Bericht aus Italien in Pandemie-Zeiten:

 

Mein Projekt findet in Macerata statt, einer kleinen Universitätsstadt in Mittelitalien.
Bevor ich hierher kam wusste ich nicht wirklich, was mich erwarten würde. Ich hatte noch nie etwas von der Region Marken gehört und konnte kaum ein Wort Italienisch. Doch als ich von der Möglichkeit hörte, in einer fast dreihundert Jahre alten Bibliothek zu arbeiten und dort Lesestunden auf Englisch für Kinder zu organisieren, war ich begeistert und fest entschlossen, an dem Projekt teilzunehmen.

Da ich mich direkt über die Plattform des Europäischen Solidaritätkorps bewarb und erst kurz vor Beginn des Freiwilligendienstes eine Rückmeldung bekam, hatte ich nur wenig Zeit alles für meine Reise zu organisieren. Eurocircle bot sich aber auch so kurzfristig noch als Entsendeorganisation an und half mir bestens bei der Planung und Organisation.

Etwa zwei Wochen später saß ich dann (wenn auch zwei Tage später als geplant, da mein Flug aufgrund eines Orkans gecancelled wurde) am Fenster eines Buses und sah Felder und Berge Italiens an mir vorbeiziehen. Nach ein paar Stunden Fahrt kam ich endlich in dieser charmanten, kleinen Stadt an und wurde von der Koordinatorin des Projekts zu meiner Wohnung gebracht.

Von Anfang an habe ich mich in mein neues Zimmer verliebt. Ich wohne in einer WG am Rande der alten Stadtmauern, gegenüber des prächtigen Operngebäudes. Von meinem kleinen Balkon aus kann ich auf der einen Seite die Altstadt mit all ihren schönen Gebäuden sehen und auf der anderen Seite die Berge und das Meer in der Ferne.
Eigentlich würde ich mir die Wohnung mit drei Studentinnen teilen doch aufgrund des Coronavirus ist alles etwas anders als geplant gelaufen.

Bereits kurz nach meiner Ankunft begannen die Schulen und Universitäten als Schutzmaßnahme zu schließen. Die Bibliothek blieb noch geöffnet, aber die Lesestunden, die eigentlich meine Hauptaufgabe waren, waren noch in Planung. Damit würde ich erst ab März anfangen und bis dahin andere Aufgaben übernehmen.

Die Biblioteca Mozzi Borgetti besteht aus mehreren Teilen: die alte Bibliothek mit der Sammlung antiker Bücher, die neue, erst vor wenigen Monaten eröffnete Leihbücherei mit Sälen für Erwachsene und Kinder und außerdem die Büros sowie das Archiv.
Mir wurde die Arbeit in der Erwachsenenbibliothek zugeteilt. Die Arbeitsstunden teilten sich in Schichten, die erste von etwa 8.30 Uhr bis 14.00 Uhr und die zweite von 13.00 Uhr bis etwa 18.30 Uhr. Die Uhrzeiten waren jedoch ziemlich flexibel.

Mein Arbeitstag war immer unterschiedlich. An manchen Tagen war ich damit beschäftigt Bücher zu sortieren und Tabellen für den Einkauf der neuen Bücher zu erstellen, an anderen Tagen half ich bei Führungen für Schulklassen durch die historische Bibliothek. Die Arbeit wird hier aber ziemlich entspannt erledigt; wenn man eine Aufgabe bekommt, wird nicht erwartet, dass man diese noch am selben Tag erledigt. Oft wurde ich sogar dazu aufgefordert, eine Pause zu machen! Und dann bekam ich meist einen guten italienischen Kaffee in die Hand gedrückt und es wurde über die besten Ausflugsziele der Region oder italienisches Essen geredet.

Als sich die Situation in Italien durch den Coronavirus verschlechterte, wurde beschlossen, dass die Bibliothek für die Öffentlichkeit schließen muss. Die Mitarbeiter gingen weiterhin normal zur Arbeit, doch mit der Zeit musste immer strikter ein Sicherheitsabstand zu anderen Personen eingehalten werden und an jeden Arbeitsplatz wurde Desinfektionsmittel gestellt.
Als es irgendwann in der Leihbücherei nicht mehr viel zu erledigen gab, wechselte ich in den älteren Teil der Bibliothek und kümmerte mich zusammen mit anderen Jugendlichen, die den italienischen Zivildienst in der Bibliothek machten, um das Verzeichnis der historischen Bücher.
Kurze Zeit später durften dann auch die Freiwilligen des Zivildienstes nicht mehr in die Bibliothek kommen und die ersten Mitarbeiter begannen von zu Hause aus zu arbeiten. Ich kümmerte mich allerdings weiter um das Bücherverzeichnis.
Außerhalb der Bibliothek begannen bereits weitere Sicherheitsmaßnahmen getroffen zu werden, der Verkehr zwischen unterschiedlichen Gemeinden wurde eingeschränkt, Läden schlossen und Veranstaltungen wurden abgesagt.

Am 13. März, ziemlich genau einen Monat nach meiner Ankunft wurde dann das Ausgehverbot beschlossen. Alle Angestellten wurden nach Hause geschickt und es wurde angekündigt, dass man das Haus nur noch für Notwendigkeiten, wie Einkäufe in Supermarkt oder Apotheke, verlassen durfte.
Seitdem bin ich nun quasi in meinem Haus eingesperrt, Spaziergänge sind untersagt. Meine Mitbewohnerin wollte die Quarantäne hier verbringen, wurde letztendlich aber von ihren Eltern dazu aufgefordert zurück zu ihnen zu gehen. Meine anderen zwei Mitbewohnerinnen habe ich nur kurz kennengelernt, da sie nach ihren Semesterferien zurückkamen, dann aber aufgrund der Schließung der Universitäten beschlossen wieder zu gehen.

Ich bin hier geblieben in der Hoffnung, dass sich die Lage bald wieder verbessert und versuche das Beste aus der Situation zu machen.
Gemeinsam mit anderen Freiwilligen, die auch in Macerata am ESK teilnehmen, habe ich kostenlosen Online-Sprachunterricht für Kinder und Erwachsene aus der Region organisiert. So gebe ich nun regelmäßig Deutsch-, Englisch- und Spanischunterricht und übe nebenher selbst mein Italienisch.

Ansonsten genieße ich das schöne Wetter nun eben von meinem kleinen Balkon aus und erfreue mich weiterhin an meiner schönen Aussicht.