06 Dez

Route 44

„Route 44“ war ein Freiwilligendienstprojekt in Vicenza/Italien. Unsere Freiwillige Marietta war dort für 9 Monate in einer Einrichtung des „Betreuten Wohnen“ für junge Frauen beschäftigt. Hier ihr schöner Bericht nach der Hälfte ihres Freiwilligendienstes:

Vicenza ist eine wunderschöne kleine Stadt im Norden Italiens. Es gibt viele Freizeitangebote und auch viel Kultur, wie zum Beispiel die zahlreichen Bauwerke von dem berühmten Architekten Andrea Palladio. Nach dem Vorbild seiner Villen wurde sogar das Weiße Haus konstruiert. Verona und Venedig sind beide in unter einer Stunde zu erreichen, und auch die Alpen sind nicht weit.

Ich arbeite in dem Projekt „Progetto sulla soglia“, zu der drei Organisationen gehören. Eine heißt „Rete Famiglie Aperte“, aber mit dieser habe ich nichts zu tun. Ich weiß aber, dass es sich dabei um ein Nachmittagsprogramm für Schulkinder handelt, deren Eltern zu der Zeit arbeiten.

Die größte ist „Cooperativa Insieme“, eine Organisation, die zwei Schwerpunkte hat: Umwelt und Soziales. Es ist sozusagen ein riesiges Recycling-Center, aber auch ein Secondhand-Shop. Alles was man nicht mehr braucht kann man hier hinbringen, ob Kleidung, Möbel oder Bücher. Der soziale Aspekt ist der, dass hier darauf geachtet wird, möglichst Leute einzustellen, die sonst große Probleme hätten, Arbeit zu finden, zum Beispiel weil sie drogenabhängig waren oder einige Zeit im Gefängnis verbracht haben. Ich arbeite hier mit Menschen, die geistige Probleme haben. Sie arbeiten 3 Stunden am Tag und haben einfache Aufgaben wie zum Beispiel Bücher und CDs putzen oder Kabel sortieren und Altpapier trennen. Die Sachen, die geputzt und repariert werden, werden später im Secondhand-Shop verkauft, der Rest wird recycelt.

Die letzte, die, in der ich hauptsächlich arbeite, heißt „Cooperativa Tangram“ und ist eine Einrichtung für Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren, die Probleme mit ihrer Familie haben und deshalb nicht zuhause wohnen können oder wollen. In Deutschland wäre das wohl mit betreutem Wohnen zu vergleichen. Im Moment sind sie zu fünft, insgesamt gibt es Platz für acht Mädchen. Meine Aufgaben sind unter anderem, die Mädchen zu ihren Freizeitaktivitäten zu begleiten und ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen, aber auch kochen und Geschirr spülen, und generell die „Erzieher“ in ihrer Arbeit zu unterstützen. Es gibt die Möglichkeit, eigene Projekte vorzuschlagen, aber bisher waren die Mädchen daran weniger interessiert. Sie haben ihr eigenes Leben und manche sehen die „comunità“ nur als einen Platz zum Schlafen. Es gibt auch unterschiedliche Motive, warum sie dort sind; wenn sie quasi dazu gezwungen worden sind, dort zu leben, fühlen sie sich verständlicherweise nicht zuhause. Also sind sie oft draußen, treffen ihre Freunde und so weiter, was für uns Freiwillige bedeutet, dass es sehr langweilig werden kann. Manchmal gibt es einfach nichts zu tun, und jeden Tag nur abwaschen ist auf die Dauer ziemlich nervig.

Ich wohne zusammen mit drei anderen Freiwilligen in einem eigenen Appartement mitten im Zentrum, also 5 Minuten zu Fuß von der Hauptstraße „Corso Palladio“ und dem Hauptplatz „Piazza dei Signori“. Wir sind eine sehr internationale Gruppe: 2 Mädchen aus Spanien und Frankreich, ein Junge aus Montenegro, und ich, aus Deutschland. Eine hat das gleiche Projekt wie ich, die anderen beiden arbeiten schwerpunktmäßig in der „Cooperativa Insieme“.

In einer WG zu leben hat seine guten und seine schlechten Seiten. Gut finde ich, dass immer jemand da ist, mit dem man reden kann und es nie langweilig wird, wir haben sehr viel Spaß zusammen. Auf der anderen Seite kann es natürlich passieren, dass man sich gegenseitig auf die Nerven geht, und ich glaube, das wird an mindestens einem Punkt auf jeden Fall geschehen.

Ich kann euch trotzdem jetzt schon sagen, dass es definitiv kein Fehler war, hierher zu kommen. Auch wenn ich mich manchmal bei der Arbeit langweile oder mich frage, wozu ich eigentlich hier bin, und auch wenn mir meine Mitbewohner manchmal tierisch auf den Geist gehen, ich würde mich trotzdem immer wieder dazu entscheiden, nach Italien zu kommen. Die Leute, die man trifft, die Sachen, die man lernt, die Kompetenzen, die man erlangt, das alles überwiegt die Schwierigkeiten bei weitem.